Der musikalische Fingerabdruck
Jede Glocke ist ein Unikat. Durch Zier und Inschriften sowie ihre Form und Größe besitzt fast jede Glocke individuelle Merkmale, die sie zu einem einzigartigen Musikinstrument machen. Noch eindeutiger lässt sich die Einzigartigkeit einer Glocke jedoch durch ihren Klang beschreiben. Dabei bestimmen nicht nur der Schlagton, die Teiltöne und die Tonintervalle diese Einzigartigkeit, vielmehr ist es das spezifische Schwingverhalten eines jeden Teiltons der Glocke, das sich je nach Material, Form und Gestaltung der Glocke unterschiedlich ausprägt.
Der musikalische Fingerabdruck von Glocken ist ein Verfahren, mit dem anhand des aufgezeichneten Klangs das Schwingverhalten analysiert wird. Gleichzeitig lässt sich aus dem musikalischen Fingerabdruck ableiten, ob Schäden an der Glocke vorliegen. Die Grundlage dafür liegt im spezifischen Schwingverhalten von rotationssymmetrischen Körpern - was für Glocke zutrifft.
Bei rotationssymmetrischen Körpern ist jede klanggebende Eigenform doppelt vorhanden, so dass jeder Teilton der Glocke auch doppelt auftritt. Bei idealer Rotationssymmetrie sind die jeweiligen Eigenfrequenzen identisch, so dass diese physikalische Eigenschaft nicht feststellbar ist. Bei Abweichungen von der Rotationssymmetrie können durch geeignete Diagnosen beide Eigenfrequenzen als Tonspaltung ermittelt werden, die ab einem gewissen Umfang auch als Schwebungen einzelner Teiltöne hörbar sind.
Auf Basis umfangreicher Simulationen und Tests an verschiedenen Glocken lässt sich eindeutig identifizieren, ob Tonspaltungen in Glocken durch Inschriften, Glockenzier, Materialungänzen oder Formfehlern hervorgerufen werden, oder ob sie durch Schäden wie Materialabtrag an den Anschlagflächen, Ausbrüchen oder Rissen entstanden sind.
Herzstück der Analyse des musikalischen Fingerabdrucks ist die grafische Darstellung der Höhe der Tonspaltungen der wichtigsten Teiltöne in einem Spinnennetzdiagramm. Anhand der grafischen Muster lässt sich identifizieren, ob eine Glocke intakt oder beschädigt ist, und ob die ermittelte Schädigung ein kritisches Ausmaß oder Potenzial besitzt. Im dargestellten Diagramm sind die Tonspaltungen bei einer idealen Glocke und bei Glocken mit Schädigungen exemplarisch dargestellt.